Analoge Weihnachtsspenden und digitale Coaches

Großstadtleben ist geprägt vom Nebeneinander unterschiedlichster Lebenssituationen. Zwischen Jung und Alt, zwischen Single und Großfamilie, zwischen Wohlstand und Armut sowie zwischen verschiedenen Kulturen liegen oft nur wenige Haustüren. Großstädte bieten genau deshalb viele Möglichkeiten, anderen etwas Gutes zu tun. Luisa Strelow ist eine von rund 16,2 Millionen Menschen in Deutschland, die sich ehrenamtlich engagieren – unter anderem, indem sie Lebensmittelspenden und Digitalisierung zusammenbringt.

Es ist Mittwoch, der 15. Dezember. Luisa steht mit einem großen Paket unterm Arm in Bremen-Oberneuland. Die Box ist gefüllt mit vielen kleinen Kartons voller Bastelmaterialien, Kinderbüchern, Gesellschaftsspielen, Schokolade, Kuscheltieren und anderen Dingen, über die sich Kinder zu Weihnachten freuen. Eine Spende an das Kinderheim »Hermann Hildebrandt Haus«.

Es ist die zweite Geschenkübergabe, zu der Luisa heute zusammen mit Florian Dallmann und Kevin Petersen unterwegs ist. Sie alle sind Mitglieder bei Rotaract, einer der größten Jugendorganisationen der Welt. In ihr engagieren sich junge Menschen zwischen 18 und 32 Jahre für soziale Projekte in ihrer jeweiligen Umgebung. 172.000 Mitglieder verteilen sich auf 7.500 Clubs – einen davon gibt es inzwischen 25 Jahre in Bremen.

Ehrenamtlich aktiv seit sechs Jahren

»Das Schöne an Rotaract ist die bunte Mischung an Leuten, die hier zusammenkommt«, sagt Luisa. »Menschen, denen ich sonst vermutlich nicht begegnet wäre.« Einige Freundschaften hätten sich aus der gemeinsamen Arbeit für die gute Sache schon ergeben. »Wenn ich samstags mit anderen von Rotaract in einem Supermarkt stehe, um eine Spendenaktion durchzuführen, dann fühlt sich das doppelt gut an: Wie ein Treffen mit Freunden, bei dem wir zusätzlich noch etwas für einen guten Zweck auf die Beine stellen.«

Rotaract ist nicht die erste Initiative, in der die 24-jährige Bremerin ehrenamtlich aktiv ist. Schon mit 18 setzte sie sich für andere ein. Weil sie sich ihrer eigenen Privilegien bewusst ist, wie sie selbst sagt. »Ich bin in Bremen gut behütet groß geworden, habe eine Privatschule besucht und hatte keine großen Sorgen. Ich bin sehr dankbar dafür, wie ich aufwachsen durfte und wollte etwas von dieser Unbeschwertheit an andere abgeben.«

Deshalb schloss sie sich nach dem Abitur der Bremer Tafel an und übernahm zunächst klassische Aufgaben wie Lebensmittel sortieren oder ausgeben. Heute – sechs Jahre, einen Masterabschluss und einen Berufseinstieg später – unterstützt sie die Bremer Tafel noch immer. Bei Aufgaben, die sie aus der Ferne und nach Feierabend erledigen kann – und noch wichtiger: bei der sie ihre fachlichen Kompetenzen einsetzen kann.

Digitale Kompetenz kommt Tafel Deutschland zugute

Luisa ist Wirtschaftsinformatikerin und arbeitet als IT-Projektmanagerin bei team neusta. In dieser Funktion ist sie in diversen digitalen Projekten unterwegs. Aktuell unter anderem bei Knowledge4Retail. »In diesem Projekt geht es darum, mit Hilfe von künstlicher Intelligenz niedrigschwellige Lösungen für den Einzelhandel zu entwickeln, um u. a. bei der Verbindung des stationären Handels mit dem Online-Verkauf zu unterstützen.« Ein mit Bremer Wissenschaftler*innen entwickelter Ansatz, der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert wird.

Prozesse zu digitalisieren, User-freundlich aufzusetzen und systematisch zu verbessern liegt Luisa von Berufs wegen im Blut. Fähigkeiten, die bei sozialen Einrichtungen wie der Tafel Deutschland aktuell dringend gebraucht werden.

Die Bremerin gehört deshalb zu einem bundesweiten Team, das bei der Einführung der „eco-Plattform“ für die Tafeln in Deutschland unterstützt. »Das ist eine Online-Plattform. Gemeinsam mit Pilot-Tafeln sowie Lebensmittelhändlern und -herstellern testen wir beispielsweise, wie der Prozess der Lebensmittelabgabe von den Spendenden an die Tafeln digitalisiert werden kann«, beschreibt Luisa.

 

» Ich bin einfach glücklicher und zufriedener, wenn ich viel mache.«

Luisa Strelow ist an vielen Stellen ehrenamtlich aktiv

Dies könnte dabei helfen, ein Dilemma zu lösen. 18 Millionen Tonnen Lebensmittel landen laut der Tafel Deutschland jährlich auf dem Müll. Gleichzeitig leben 14 Millionen Menschen hierzulande unterhalb der Armutsgrenze. Das Projekt „Tafel macht Zukunft – gemeinsam digital“ hat sich daher zum Ziel gesetzt, die Lebensmittelrettung durch die Tafeln mit digitalen Lösungen zu vereinfachen, um zukünftig noch mehr Lebensmittelspenden an armutsbetroffene Menschen weiterzugeben.

Damit die teilnehmenden Projekt-Tafeln bestmöglich unterstützt werden und Hürden in Bezug auf digitale Anwendungen abgebaut werden, werden sogenannte »Digital Coaches« ausgebildet. »Da die Aktivitäten der Tafel für ihre Kund*innen vorwiegend tagsüber stattfinden, sind die ehrenamtlich Helfenden häufig Rentnerinnen und Rentner«, weiß Luisa. »Junge, digital routinierte Menschen gibt es wenige. Daher ist es nötig, den deutschlandweit 60.000 Tafel-Aktiven Hilfestellungen zu geben, wie sie die digitalen Maßnahmen nutzen können.« Das Prinzip der Digital Coaches im eco-Plattform-Projekt ist einfach: Digitalaffine Menschen helfen Tafeln, die eco-Plattform und entsprechende Hardware zu nutzen, und tragen so dazu bei, dass die Tafeln Schritt für Schritt an die bedarfsgerechte Nutzung von Technik und digitalen Themen herangeführt werden.

 

Vereinbarkeit von Vollzeitjob und Ehrenamt

Drei bis vier Stunden pro Woche arbeitet Luisa neben ihrem Vollzeitjob für Tafel-Projekte, hinzu kommen durchschnittlich drei Stunden für Rotaract. Darüber hinaus gibt Luisa zwei Mal die Woche für jeweils eine Stunde kostenlos Deutsch- und Mathenachhilfe. Damit zählt sie zu den 27 Prozent der Berufstätigen in Deutschland, die ein Ehrenamt ausüben. »In meinem Umfeld spüre ich manchmal Unverständnis, wie ich das alles unter einen Hut bekomme und mich dann noch mit Freunden treffen und zum Sport gehen kann. Ich stelle an mir aber fest: Das geht (meistens) echt stressfrei, da mir das alles einfach unfassbar viel Spaß bereitet. Ich bin einfach glücklicher und zufriedener, wenn ich viel mache – sonst werde ich hibbelig.« Gerade in der heutigen Zeit, so sagt sie weiter, in der es zunehmend Unverständnis und auch Hass gäbe, sei es wichtig, Begegnungen zu erleben. Gespräche zu führen. Nicht nur zu Weihnachten.«

 

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