»Mein Kompromiss? Büro mieten, wo ich kein Haus kaufen kann.«
Das Haus, in dem Sandra mit ihrem Mann und ihrem Sohn wohnt, punktet beim Kauf vor allem mit seinem Platzangebot. Und auch heute möchte die Bremerin keines der Zimmer oder gar den angrenzenden Garten missen. Mit der Lage ist sie hingegen alles andere als glücklich. Sandras Kompromiss: Ein Büro mieten, wo sie nicht wohnen kann.
Text: Sandra Lachmann, Fotos: Shanice Allerheiligen
»Es sind die Samstagvormittage, an denen ich es am meisten merke – dass die Straßen, auf denen ich besonders gern unterwegs bin, nicht vor meiner Haustür verlaufen. Ich merke es immer dann, wenn ich die anderen in Jogginghose und schnell übergeworfenen Hoodies mit Brötchentüte in der Hand entspannt durch eben diese Straßen laufen sehe. Sie haben mal eben was vom Bäcker geholt, der nur wenige Gehminuten entfernt liegt. Und weil sie schon mal unterwegs sind, haben sie die Zeitung auch gleich noch mitgebracht. Easy like saturday morning.
Ich habe zu diesem Zeitpunkt bereits 20 Minuten Fahrradweg hinter mir. Bin geduscht, für alle Wetterlagen angezogen und habe die komplette Liste der Dinge, die ich erledigen möchte, logistisch sinnvoll geplant. Denn wenn ich die entspannte Atmosphäre in Peterswerder, der Neustadt oder im Viertel aufsaugen möchte, kann ich nicht ungekämmt aus der Haustür fallen, sondern muss mich erstmal aufs Rad schwingen. Sofern das Wetter auf meiner Seite ist. Regnet es Hunde, müsste ich den Bus nehmen. Meistens bleibe ich dann aber zuhause und verzichte auf einen wilden Blumenstrauß vom Markt und das französische Schokobrötchen vom Lieblingsbäcker. Statt dessen gibt es dann acht mit Folie ummantelte Rosen vom Supermarkt und Aufbackbrötchen.
Seit nunmehr zehn Jahren lebe ich in einem Stadtteil, den ich öde finde, in einem Zuhause, das ich sehr mag. Ich wohne weder im Zentrum noch am Stadtrand. Ich wohne weder in einem der angesagten Quartiere noch in einem vergessenen. Mein Stadtteil und ich, wir passen einfach nicht zusammen. Er ist wie ein Kleidungsstück, von dem mir Textilprofis mit den Worten „Das passt nicht zu Deinem Typ“ abraten würden. Aber er passte vor zehn Jahren eben zu meinem Geldbeutel und meiner Lebenssituation.
Als frisch zusammengewürfelte vierköpfige Patchworkfamilie brauchten wir nämlich Platz. Platz, der jedem Familienmitglied die Privatsphäre bietet, die es sich wünscht. Keine bezahlbare Wohnung in meinen favorisierten Quartieren machte das möglich. Das Reihenhaus, in dem wir seitdem zuhause sind, schon.
Wir haben genügend Zimmer, einen Garten, hilfsbereite Nachbar:innen, viel Grün drumherum, einen Spielplatz genau gegenüber und eine Schule um die Ecke. Doch anderes, was ich am Leben in der Stadt so mag, haben wir nicht. Es gibt fußläufig kein Café oder ähnliches, wo ich ein kleines Mittagessen bekommen könnte. Keinen Kiosk, der Kulturgut mit Stammkunden-Plausch ist. Keine Eltern in der Kita, die sich für meine Themen interessieren. Hier gibt es REWE und ein griechisches Restaurant mit Kleinstadtflair. Hier schnackt man mit den freundlichen Nachbar:innen, wenn man Pakete bei ihnen abholt, aber man sitzt nicht mit ihnen in der Abendsonne auf den Treppenstufen, um Passant:innen zu beobachten und das Weltgeschehen zu diskutieren. Hier sitzt man auf der eigenen Terrasse, die man regelmäßig fegt. Das alles ist nicht schlecht, in vielerlei Hinsicht ist es sogar ein großes Glück. Es ist einfach anders als ich es bin.
Vor acht Jahren bin ich deshalb einen Kompromiss eingegangen. Keinen faulen, sondern einen guten: Ich habe kurz nach meinem Start in die Selbständigkeit ein Büro angemietet. Ein Büro, für das auch zuhause Platz gewesen wäre. Die monatlichen Euros sind es mir wert, tagsüber dort zu sein, wo der urbane Puls in meinem Rhythmus pocht. Wo ich in der Mittagspause die Wahl habe, ob ich einen Spaziergang am Wasser machen, einen Suppenladen besuchen oder einen Blumenstrauß nach meinem Geschmack kaufen möchte. Manchmal reicht die Zeit für alles.
Wenn ich mich dann nach Feierabend auf mein Fahrrad schwinge, um nach Hause zu fahren, beneide ich all diejenigen, die mit ihren kreidemalenden Kindern in der Abendsonne vor ihrem Haus sitzen und am nächsten Morgen in nur wenigen Minuten bei meinem Lieblingsbäcker sind. Und bin gleichermaßen dankbar, einen Weg gefunden zu haben, beides im Alltag zu haben: bezahlbares Wohnen und inspirierendes städtisches Treiben.«