»Bin froh, dass es Ganztagsschulen gibt.«
Alexander Kissel schaut beim Thema Bildung gern über den großen Teich. Das amerikanische Schulmodell, in dem Unterricht und Hobbys an einem Ort ineinander greifen, bietet aus Sicht des Bremers für berufstätige Eltern viele Vorteile, die in Deutschland noch fehlen.
Text: Sandra Lachmann, Fotos: Shanice Allerheiligen
»Meine Frau und ich haben zwei Söhne, sie sind 10 und 6 Jahre alt. Unser älterer Sohn wechselt in diesem Sommer von der Grundschule auf die Oberschule, unser jüngerer Sohn verlässt zeitgleich die KiTa und wird eingeschult. Für uns war schon vor vier Jahren bei der Schulwahl eine zentrale Frage, wie wir Job und Schule bestmöglich unter einen Hut bekommen. Die Zeit, die unser Sohn für den Weg zur Schule braucht, ist in diesem Kontext ein wichtiger Faktor. Ich erinnere mich noch gut, wie es war, als wir als Familie erstmals von KiTa auf Schule wechselten: Da klingelte der Wecker plötzlich deutlich früher, weil der festgelegte Start des Unterrichts um 8 Uhr verlangt, dass wir alle pünktlich aus dem Haus gehen.
Für uns war es daher schon damals klar, dass wir eine Grundschule in unserer Nähe wählen. Wir haben uns schließlich für die Grundschule am Baumschulenweg entschieden – aufgrund der räumlichen Nähe, aber auch, weil sie eine Ganztagsschule ist.
Alexander Kissel (40) ist geschäftsführender Gesellschafter der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft RSM GmbH. Sie beschäftigt derzeit rund 850 Mitarbeitende davon 250 Mitarbeitende in Bremen und betreut vorwiegend Bremer Familienunternehmen mit internationaler Ausrichtung. Alexander ist gebürtiger Bremer, hat das Gymnasium an der Walliser Straße besucht, ist verheiratet und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen in Bremen-Schwachhausen.
Ich bin wirklich froh, dass es das Prinzip Ganztagschule gibt. Es ist bislang das einzige, das den gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte Rechnung trägt. Früher war es meist kein Problem, ein Kind mittags aus der Schule abzuholen, zu Hause zu bekochen, mit ihm die Hausaufgaben zu erledigen und es noch zu Freunden oder Hobbies zu bringen. Weil ein Elternteil in der Regel gearbeitet hat, während das andere zuhause blieb. So ist es ja aber schon lange nicht mehr. Wer könnte sich das heutzutage überhaupt noch finanziell leisten? Immer häufiger gibt es statt dessen das Modell, in dem beide Eltern vollzeitnahe Teilzeit oder sogar beide Vollzeit arbeiten. Das Schulsystem hinkt dieser neuen Realität noch hinterher.
Amerikanisches Modell könnte Freizeitstress reduzieren
Ich persönlich würde mir wünschen, dass sich die Bildungslandschaft in Deutschland mehr am amerikanischen Modell orientiert. Dass wir einen Schulalltag hätten, der auch die Hobbys der Kinder integriert. Das wäre aus meiner Sicht zukunftsfähiger als das bestehende System. Wenn Kinder bis 16 Uhr in der Schule wären und in dieser Zeit auch Hobbies nachgehen könnten, wäre das ein Vorteil für ihre Bildung und Entwicklung, aber auch für die Alltagsorganisation von Familien.
»Das Prinzip Ganztagschule ist bislang das einzige, das den gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte Rechnung trägt.«
Alexander Kissel, Vater von zwei Söhnen
Eltern sind nach ihrem Arbeitstag doch nur am Umherflitzen. Je mehr Kinder sie haben, desto mehr Zeit verbringen sie damit, ihren Alltag komplett um die Termine des Nachwuchs herumzubasteln. Terminfreie Zeit für die ganze Familie oder auch für die einzelnen Erwachsenen bleibt da wenig. Die Freizeitaktivitäten der Kinder mehr an das Schulleben zu koppeln, könnte diesen Stress deutlich reduzieren. Außerdem könnten sinnvolle Freizeitaktivitäten in den Ferien, die über die Schulen organisiert werden, das Problem der Ferienbetreuung lösen.
Vereine, Musikschulen und Co. in den Schulalltag integrieren
Natürlich dürfte es nicht die Aufgabe der Lehrkräfte sein, diesen Bereich auch noch abzudecken. Man könnte aber Vereine, Musikschulen und andere außerschulische Institutionen deutlich mehr miteinbeziehen, als dies bisher geschieht. Wobei die Grundschule am Baumschulenweg da durchaus schon innovative Angebote vorweisen kann.
Das in Amerika gelebte Modell würde den Standort Deutschland für Fachkräfte nochmal deutlich attraktiver machen. Und das ist nötig, denn wir haben einen Fachkräftemangel, der sich verstärken wird. Jedes Elternteil, das in Deutschland aktuell wegen schlechter Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zuhause bleibt, fehlt dem Arbeitsmarkt. Es muss eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf stattfinden. Und da müssen sich die Schulen in Deutschland anpassen.
Bremen weit vorn bei der Digitalisierung
Wenn ich auf unsere Erfahrungen mit dem Bremer Schulsystem schaue, muss ich sagen, dass Bremen oft besser ist als sein Ruf. Was Bremen besonders gut hinbekommt: die Digitalisierung. Da sind wir im Vergleich zu anderen Bundesländern echt weit vorne. In der Corona-Zeit hat der Remote-Unterricht dank der flächendeckend verteilten iPads, aber auch der darauf abgestimmten Lehreinheiten daher gut funktioniert – jedenfalls bei uns. Das digitale Lernen war in der Pandemie kein Problem.
Was fehlte waren die Projekte, die neben dem eigentlich Unterricht aus meiner Sicht für Kinder an Schulen essentiell sind. Die Grundschule am Baumschulenweg hat beispielsweise einen eigenen Garten, wo die Schülerinnen und Schüler eigenes Gemüse pflanzen können. Und viele Schulen in Bremen haben eine Kooperation mit dem extrem erfolgreichen Grün-Gold-Club. Das Ergebnis: Schulgruppen führen im Rahmenprogramm einer Weltmeisterschaft schon mal eigene Tänze auf. Solche Aktivitäten führen im Schulalltag zu einem sozialen Miteinander, das mindestens so wichtig ist wie der Unterricht selbst.
Es wäre klasse, wenn Projekte wie diese, die dem Sozialverhalten dienen, noch mehr zum Standard an Schulen würden. Wenn es dafür mehr Ressourcen gäbe. In Ganztagsschulen ist das häufig schon vorhanden. Aber Schulen, die nur bis mittags gehen, bleibt dafür in der Regel keine Zeit.
»Aktivitäten die das soziale Miteinander stärken sind mindestens so wichtig ist wie der Unterricht selbst.«
Eine Frage, mit der wir uns im Rahmen des Wechsels unseres Sohnes auf die weiterführende Schule stark beschäftigt haben, war, ob er nach 12 Jahren oder doch erst nach 13 sein Abitur machen soll – wenn er anknüpfend an seine Gymnasialempfehlung tatsächlich den Weg bis zur Hochschulreife absolviert. Wir haben uns für 13 Jahre entschieden – und damit für die Schulform der Oberschule. An den Gymnasien in Bremen machen Jugendliche ihr Abitur nämlich schon nach 12 Jahren.
Weil unser älterer Sohn sehr sportlich ist, haben wir uns für die Oberschule in der Ronzelenstraße entschieden, sie hat einen Sportschwerpunkt. Zum Glück hat es dort über den Motorik-Eingangstest auch mit einem der begehrten Plätze geklappt. Mal sehen, wie unser dann Elfjähriger die erste Zeit dort erlebt. Das Niveau an der Ronzelenstraße stelle ich mir ähnlich hoch vor, wie an der Grundschule am Baumschulenweg. Das hängt im Wesentlichen damit zusammen, dass in Schwachhausen und Horn wenige bildungsferne und sozial schwache Familien leben und die Kinder daher natürlich in einem „speziellen“ Bildungs-Biotope aufwachsen. Das es ein ganz anderes Leben bspw. in sozialen Brennpunkten gibt, bekommen die Kinder so gar nicht mit.
Mehr Durchmischung, weniger Bildungs-Biotope
Es wäre gut, wenn es solche Bildungs-Biotope nicht gäbe, dafür mehr Durchmischung. Kinder bekommen oft ein viel zu einseitiges Bild und damit falsches Bild von unserer Gesellschaft. Ich selbst war früher an der Schule in der Walliser Straße, der heutigen Gesamtschule Ost, die war nicht so behütet wie die Schulen unserer Kinder – und ich würde sagen, dass mir das sehr gut getan hat. Aber konkret würde Durchmischung aktuell nur passieren, wenn Kinder Schulen in anderen Stadtteilen besuchen würden – und da sind wir wieder am Anfang: das ist für Eltern im Alltag nur schwer zu realisieren. Besser wäre es also, wenn die Stadtteile von vorne herein besser durchmischt wären – dann würde sich das in den Schulen der entsprechenden Stadtteile auch entsprechend widerspiegeln.«
Arbeiten bei RSM in Bremen
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